"In Europa kannst du ungemerkt durch die Straßen gehen, keiner schießt auf dich oder dringt in dein Haus ein", sagt der inguschetische Journalist Ali, der in Polen Asyl sucht. Sein Heimatland Inguschetien gehört genau wie Tschetschenien zu den krisenzerrütteten autonomen Republiken Russlands. Vor den Menschenrechtsverletzungen und der unsicheren Situation im Nordkaukasus flüchten jährlich zahlreiche Menschen in die Europäische Union. In ihrem Dokumentarfilm hat Kerstin Nickig vier Asylbewerber und ihre Familien porträtiert, die in Polen, Österreich oder der Ukraine Schutz gesucht haben. Sie wollen bleiben. Doch langwierige Asylverfahren und die drohende Abschiebung lassen den Traum von einem Platz zum Leben in weite Ferne rücken.
Über ein Jahr lang hat die Berliner Filmemacherin Kerstin Nickig ihre Protagonisten/innen auf ihrem Weg durch das Labyrinth der europäischen Asylpolitik begleitet. In langen Kameraeinstellungen berichten sie von den Strapazen der Flucht, den Repressionen in ihrem Heimatland, vor allem jedoch von dem zermürbenden Hürdenlauf durch die Instanzen des Asylverfahrens.
Kein Ort erzählt seine Geschichte(n) zurückhaltend, ohne erklärendes Voice Over und, abgesehen von der Exposition und dem Abspann, auch ohne
Musik. Doch je mehr die Personen über sich Preis geben, desto stärker öffnet sich der Blick des Publikums dafür, was es bedeutet, abhängig von Gesetzen und Vorschriften, in permanenter existenzieller Unsicherheit zu leben.
Durch die Terroranschläge in der Moskauer Metro im März 2010 sind die blutigen Auseinandersetzungen im Nordkaukasus erneut in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Zwar geht der Film nicht differenziert auf die politischen Hintergründe der Protagonisten und des Konflikts ein. Doch was es für den einzelnen Menschen bedeutet, in einer Region zu leben, in der Gewalt, Entführung und Folter an der Tagesordnung sind, wird nur allzu deutlich. Weitere Diskussionsansätze für den Ethik- aber auch den Politikunterricht bieten die Bestimmungen der europäischen Asylpolitik mit ihren zum Teil menschenverachtenden Auswirkungen. Nicht zuletzt können anhand des Films Begriffe von "Freiheit" und "Demokratie" reflektiert und mit eigenem Erleben in Bezug gesetzt werden.
Autor/in: Ula Brunner, 13.04.2010
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