Schälen, schnippeln, putzen – bei Regina und Bella geht die Erinnerung durch den Magen. In ihrer Wohnung in Berlin-Charlottenburg kochen die hoch betagten Freundinnen ausschließlich jiddische Gerichte aus ihrer Kindheit und halten damit eine zerstörte Kultur am Leben: Die in Kattowitz geborene Regina Karolinski, 84, und die aus Vilnius stammende Bella Katz, 88, sind Überlebende des Holocaust. Sich der Schrecken zu erinnern, fällt ihnen nicht immer leicht, doch die wenigen Sätze vermitteln die Tragik eines Schicksals, das sich wohl nur meistern lässt durch Freundschaft, Lebensmut – und gutes Essen. Wenn sie kochen, die Familie empfangen oder sich fein zurechtgemacht auf Stadttour begeben, genießen die Damen das Leben in vollen Zügen.
Aus dem Kochbuch, das Reginas Enkelin Alexa Karolinski ursprünglich geplant hatte, wurde schließlich ein Dokumentarfilm. Die
Handkamera filmt die beiden Frauen meist – auf engstem Raum – in der Küche, aber auch auf dem Wochenmarkt oder beim Friseur. Zusätzliche Interviews ähneln der klassischen Zeitzeugendokumentation, wobei sich erschütternde Erzählungen über Misshandlungen im Konzentrationslager und den Verlust der Familien mit Themen wie Hühnerbrühe ("das jüdische Penicillin") und Freundschaft abwechseln. Am liebsten zeigen die langjährigen Gefährtinnen Fotos aus der Nachkriegszeit, als sie die verlorene Jugend in ausgelassenen Partynächten nachzuholen versuchten. Das persönliche Verhältnis zur Regisseurin zeigt sich weniger durch deren gelegentliche Fragen als durch die ständigen Versuche der Befragten, die junge Frau mit Keksen zu versorgen.
In einer Stimmung zwischen Lachen und Weinen zeugt der Film nicht nur von der Notwendigkeit, sondern auch von der Last des Erinnerns. Insbesondere von der älteren Bella Katz, die im Holocaust ihre gesamte Familie verlor, wird letzteres auch offen ausgesprochen. Dennoch liefert
Oma & Bella kein bedrückendes Kinoerlebnis, sondern eine meist humorvolle Begegnung mit dieser letzten Generation von Überlebenden. Im Unterricht kann zudem auch auf die besondere Interviewsituation eingegangen werden: Zwar muss die Filmemacherin ihre Großmutter und deren Freundin gewiss nicht zur Aussage zwingen, doch wird kaum transparent, welche Fragen sie ihnen gestellt hat – was durchaus einen kleinen Kritikpunkt bietet.
Autor/in: Philipp Bühler, 22.08.2012
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