Beten und Gutes tun – in seinem Kummer glaubt Menachem fest an den Rat des Rabbis. Nachdem der Vater des jungen Mannes auf rätselhafte Weise bei einem Verkehrsunfall verschwunden ist, bestimmt quälende Ungewissheit das Leben der Jerusalemer Familie. Jedes Familienmitglied versucht, auf seine Art mit der unerklärlichen Abwesenheit klarzukommen: Menachems strengreligiöser Großvater lädt die Gemeinde zum täglichen Gebet ein. Die Mutter scheint sich vor allem um die finanzielle Zukunft der Familie zu sorgen. Und Menachem hält sich plötzlich verstärkt am jüdischen Glauben fest. Gemeinsam mit Familie und Freunden so genannte Tehilim zu lesen – nachdenkliche und tröstende Psalme aus der hebräischen Bibel – hilft ihm, zuversichtlich zu bleiben. Entgegen allem Hoffen und Beten steht das Leben nach dem Verschwinden des Vaters dennoch zermürbend still. Vertraute Räume oder Handgriffe wirken plötzlich fremd. So backt und segnet die Familie am Sabbat wie gewohnt das traditionelle, geflochtene Brot, allerdings tut sie dies schweigend und fast mechanisch. Der einzige, der hin und wieder Fragen stellt und körperliche Nähe sucht, ist David, Menachems kleiner Bruder. Menachem jedoch weist sogar seine Freundin ab.
Die teils stark bewegte Handkamera folgt ihm bei seinen einsamen, gehetzten Streifzügen durch das Jerusalemer Neubauviertel, mal zum Großvater, mal wieder zurück nach Hause. In der gesichtslosen Architektur der Straßenzüge, Wohnblöcke und Bushaltestellen spiegelt sich das emotionale Niemandsland, dem Menachem schließlich durch eine vermeintlich gute, aber naive Tat zu entkommen versucht. Dabei gelingt es dem französischen Regisseur, aus der Distanz des Beobachters heraus Bilder zu finden, in denen die vom Vater hinterlassene Lücke schmerzlich sichtbar wird. In dem lebensnahen Porträt einer trauernden Familie lässt Raphaël Nadjari zugleich verschiedene Strömungen innerhalb des jüdischen Glaubens in Dialog treten. Somit gibt
Tehilim (Psalmen) Denkanstöße für Diskussionen über den Umgang mit dem Verlust eines Elternteils und bietet zudem Einblicke in das sehr unterschiedlich gelebte Judentum im Israel von heute.
Autor/in: Marguerite Seidel, 05.03.2008
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