Veröffentlichungstermin: 06.05.2018 Distributionsform: Video-on-Demand Verfügbarkeit: YouTube Regie: Hiro Murai Drehbuch: Donald Glover, Ludwig Göransson Darsteller/innen: Childish Gambino (Donald Glover), Calvin C. Winbush, Kenneth Beck, SZA, Rhyan Hill, Chris Carr, Jackie Falcon, Angela Romeo, Dominic Vedder u.a. Kamera: Larkin Seiple Laufzeit: 4 min, englische Originalfassung, OmU Format: Digital, Farbe FSK: Ohne Angabe Altersempfehlung: ab 16 J. Klassenstufen:ab 11. Klasse Themen:USA, Rassismus, Gewalt, Diskriminierung, Popkultur Unterrichtsfächer:Englisch, Musik, Kunst, Ethik, Politik, Sozialkunde
In Solo: A Star Wars Story spielte Donald Glover eine markante Nebenrolle, in der NeuverfilmungDer König der Löwen synchronisierte er nun Simba. Daneben reüssiert der 1983 geborene US-Amerikaner als Musiker und Comedian sowie Autor und Regisseur der gefeierten TV-Serie Atlanta. Im Mai 2018 landete das Multitalent unter seinem Musikerpseudonym Childish Gambino einen viralen Hit, als seine Single "This is America" binnen weniger Stunden millionenfach geklickt, kommentiert und analysiert wurde. Das dazugehörige Musikvideo von Hiro Murai ist untrennbar mit der Gesellschaftskritik des Songs verbunden.
Ein Schockmoment im Unterhaltungsformat
"This is America", beginnt Donald Glover in dem Video die erste Strophe des Songs, nachdem er einem älteren Mann, dessen Gesicht von einem Sack verhüllt ist, aus nächster Distanz in den Hinterkopf geschossen hat. Glover übergibt die Mordwaffe einem Teenager, der sie in ein rotes Tuch hüllt, während zwei andere Teenager im Hintergrund den leblosen Mann wegschaffen.
In der knappen Minute davor deutet nichts auf diese Gewalteruption hin, auf die in dem vierminütigen Clip weiteres Chaos folgt. Das erste Bild zeigt eine karge Industriehalle, in der ein rot bezogener Stuhl steht, darauf eine Akustikgitarre. Ein älterer Schwarzer setzt sich und spielt auf dem Instrument. Die Kamera gleitet zu melodischen Afro-Folk-Rhythmen und Gospel-Gesängen näher und gibt die Perspektive auf Glover frei, der zuvor hinter einer Steele stand. Der Musiker tritt mit freiem Oberkörper auf, in grauer Jerseyhose im Stil der Konföderierten aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg, und Ketten um den Hals, die für zweierlei stehen könnten: für den Materialismus (nicht nur) der modernen Hip-Hop-Kultur oder – im übertragenen Sinn – für die fesselnden Ketten der Sklaverei. Glover tänzelt abgehackt-schwungvoll auf die Kamera zu. Dann fällt der Schuss, und die Musik wechselt abrupt zu düsteren Trap-Beats.
Musikvideo voller politischer und popkultureller Anspielungen
Der Kontrast zwischen tänzerischer Unterhaltung und chaotischer Gewalt gibt auch im Folgenden den Takt an. Der von einer schuluniformierten Tanzgruppe flankierte Glover tanzt, rappt und grimassiert im Vordergrund, während im Hintergrund ein Aufstand entflammt. In der Choreographie erinnern zig Referenzen an historische und gegenwärtige Rassismus-Erfahrungen der afroamerikanischen Community: Extremistische Anschläge und Polizeigewalt sowie Proteste wie von "Black Lives Matter" stehen neben kulturgeschichtlichen und popkulturellen Zitaten. Da wäre der Gospelchor, den Glover mit einem Maschinengewehr niederschießt, eine deutliche Anspielung auf das 2015 erfolgte Massaker in einer Baptisten-Kirche in Charleston. Zwischendurch erahnt man Moves von Michael Jackson, dann welche von Rihanna; darüber hinaus schalten sich im Hintergrund bekannte Rapper wie Young Thug oder 21 Savage mit sogenannten Adlibs (kurzen Zwischenrufen) ein.
Das vielleicht wichtigste Zitat ist die marionettenhafte Pose, die Glover gleich zu Beginn einnimmt. Ein Verweis auf das rassistische Stereotyp "Jim Crow", das in den "Minstrel-Shows" des 19. Jahrhunderts der öffentlichen Belustigung über Schwarze diente. Damals traten weiße Schauspieler/-innen mit Blackfacing auf – nun erobert der afroamerikanische Entertainer die Deutungshoheit zurück. Auf dem Höhepunkt des Clips brennt ein Auto und ein Vermummter galoppiert auf weißem Pferd durchs Bild, was an die apokalyptischen Reiter aus der Offenbarung des Johannes, aber auch an den Ku-Klux-Klan gemahnt: Düstere Vorahnungen zu den race riots der Gegenwart. Ein Schwenk über eine Empore zeigt Jugendliche, die mit ihren Smartphones filmen. Das Handy als Werkzeug ("This celly, that’s a tool"): ein Verweis auf die zunehmenden Videos von Menschen, die Polizeiübergriffe dokumentieren. Beim abschließenden Finale flüchtet Glover dann vor einem Mob aus der Halle, die mehr und mehr wie ein Gefängnis wirkt. Mit grotesk aufgerissenen Augen erinnert an den Protagonisten der Rassismus-Satire Get Out (USA 2017).
Weckruf gegen Waffengewalt – mit einem weltweiten Echo
Bild, Text und Musik bilden in This is America eine untrennbare Einheit. Die Bedeutung entsteht aus der Reibung zwischen den Ebenen, wenn die Lyrics und Rhythmen das Gezeigte kontrastieren oder unterfüttern. Inszenatorisch setzt Regisseur Hiro Murai auf Plansequenzen, die mittels Reißschwenks fließend ineinander übergehen: Der erste von nur vier sichtbaren Schnitten erfolgt erst nach einer Minute und 40 Sekunden. Wo Videoclips oft eine hohe Schnittfrequenz haben, lenken die ruhigen Kamerafahrten von Larkin Seiple den Blick auf Details. Der zentrale Clou der Bildgestaltung ist, dass der Tanz und die Anklage als Vorder- und Hintergrund gleichzeitig im Bild stattfinden. Einerseits lenkt die Choreografie als einlullendes Spektakel vom Chaos ab. Andererseits ist die Performance ein Protest gegen Gewalt und Unrecht.
Vom vierten bis sechsten Mai 2018 veranstaltete die US-amerikanische National Rifle Association (NRA) ihre jährliche Hauptversammlung. Ausgerechnet in Dallas, dem Ort des Attentats auf John F. Kennedy, unterstrich der neue US-Präsident Trump das Recht auf Waffenbesitz. Am letzten Versammlungstag ging This is America als geschickt platzierte, bittere Replik online – und wurde prompt zum Musikvideo des Jahres. Bis heute verzeichnet der virale Clip über 578 Millionen Aufrufe. Doch obwohl Glover innenpolitische Debatten der USA um Waffenbesitz und Rassismus thematisiert, inspirierte er weltweit Rapper zu Remakes des Videos über die Missstände in ihren Heimatländern (von "This is Iraq" bis zu "This is Dominican Republic"). Ein Protestvideo mit einem so universellen Konzept, das seine Botschaft offenbar weltweit verstanden wird.
Das Dossier "Kurzfilme für Jugendliche" finden Sie auch als PDF-Druckversion in der rechten Spalte. Zur folgenden Aufgabe für den Schulunterricht gibt es im PDF einen didaktisch-methodischen Kommentar sowie eine englische Fassung für den Fremdsprachenunterricht.
Arbeitsblatt zu This Is America
Fächer: Englisch, Politik, Kunst, Musik ab 11. Klasse
Das Musikvideo This Is America des US-amerikanischen Comedians und Sängers Donald Glover (Childish Gambino) zeigt die herrschenden race relations in den USA.
a) Sehen Sie sich den Clip von Donald Glover (Childish Gambino) individuell an einem internetfähigen Gerät an. Notieren Sie sich unmittelbar, was Ihnen durch den Kopf geht.
b) Finden Sie sich in Kleingruppen zusammen (drei bis vier Schüler/-innen) und tauschen Sie Ihre Eindrücke aus. Erstellen Sie eine Zeitleiste über die Clipdauer und tragen Sie relevante Gedanken ein. Nutzen Sie unterstützend die Lyrics, um die eigenen Eindrücke zu ergänzen und zu begründen. Hier finden Sie die Lyrics des Songs mit erläuternden Kommentaren.
c) Tauschen Sie sich im Plenum über die in den Kleingruppen geführten Diskussionen aus. Sammeln Sie die wichtigsten Aspekte anhand einer Mindmap an der Tafel/Smartboard. Identifizieren Sie offen gebliebene Fragen und Unklarheiten.
d) Finden Sie sich zu zweit zusammen. Recherchieren Sie Hintergrundinformationen zu im Video angesprochenen Themenbereichen. Übernehmen Sie hierfür Themen, die Sie in c) identifiziert haben oder wählen Sie aus der untenstehenden Liste aus.
• Anschlag in Charleston im Jahr 2015
• Bürgerkrieg
• Facetten und Bedeutung schwarzer Musik-/Popkultur
• 12th Amendement/Gefängnissituation in den USA
• Rassistische, historische Bühnenfigur Jim Crow
Nutzen Sie den Artikel der New York Times als Ausgangspunkt Ihrer Recherche.
Hinweis: Überprüfen Sie stets die Seriosität Ihrer Quellen.
e) Tragen Sie Ihre Rechercheergebnisse mittels eines kurzen Vortrags den Mitschüler/innen vor. Verweisen Sie dabei auf eine Sequenz im Video, in der die gewählte thematische Referenz besonders deutlich wird. Stellen Sie in diesem Zusammenhang auch dar, wie die Wahl filmästhetischer Mittel die mögliche Aussageabsicht verstärkt.
f) Klären Sie im Plenum verbliebene Fragen und Unklarheiten aus c). Beziehen Sie anschließend, auf Grundlage des Erarbeiteten, Stellung zu folgendem Zitat des schwarzen Journalisten und Autoren Ta-Nehisi Coates:
"America understands itself as God’s handiwork, but the black body is the clearest evidence that America is the work of men." (Coates 2015: 12)
g) Nach Erscheinen zog This Is America im Internet Reaktionen aus der ganzen Welt nach sich. In einigen Ländern entstanden dabei ganz ähnliche Clips. Auf fluter.de finden Sie eine Übersichtskarte über diese Videos.
Finden Sie sich in Kleingruppen zusammen. Entscheiden Sie sich für ein Video aus einem der Länder. Erarbeiten Sie den Clip in seinen jeweiligen Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu Childish Gambinos This Is America. Gehen Sie dabei auch auf die Wahl filmästhetischer Mittel ein. Recherchieren Sie außerdem die gesellschaftspolitische Situation von ethnischen Minderheiten/politisch Andersdenkenden im jeweiligen Land. Halten Sie Ihre Ergebnisse auf einem Plakat oder einer digitalen Präsentation (z.B. Prezi) fest.
h) Präsentieren Sie sich Ihre Ergebnisse in Form eines Gallery Walks.
Optional – z.B. als Projektarbeit im Rahmen der Initiative Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage denkbar:
i) Erstellen Sie einen kurzen Videoclip, einen Audiobeitrag ODER eine Instagram-Story zum Thema "This is Germany". Gehen Sie dabei wie folgt vor:
• Finden Sie sich in Kleingruppen (max. vier Schüler/-innen) zusammen.
• Identifizieren Sie gesellschaftliche Problemfelder und ausgrenzende bzw. rassistische Strukturen in Deutschland, indem Sie
a) konkrete Ereignisse der jüngeren Vergangenheit sammeln (maximal fünf Jahre zurückliegend);
b) strukturelle Gemeinsamkeiten im Hinblick auf Benachteiligung und Diskriminierung benennen.
• Erstellen Sie einen Arbeitsplan, aus dem hervorgeht, welche Inhalte Sie auf welche Weise und in welcher Reihenfolge präsentieren wollen und was Sie für die Produktion benötigen. Entscheiden Sie sich für eines der drei möglichen Produktformate. Stellen Sie sich dabei die Frage, welches Format am besten zu den Inhalten passt, die Sie transportieren wollen. Verteilen Sie innerhalb der Gruppe klare Teilaufgaben. Besprechen Sie Ihren Arbeitsplan mit ihrer Lehrerin/ihrem Lehrer.
• Produzieren Sie Ihr Video/Ihren Audiobeitrag/Ihre Instagram-Story. Sollten Schwierigkeiten auftreten, suchen Sie zunächst in der Gruppe nach Lösungsstrategien. Ggf. müssen Sie dafür Ihren Arbeitsplan überarbeiten. Konsultieren Sie nach der ersten Erarbeitung die Lehrperson für Feedback und Beratung.
• Präsentieren Sie sich Ihre Ergebnisse in der Lerngruppe und/oder in einem schulöffentlichen Rahmen. Ausgewählte Produkte können auch auf der Homepage der Schule veröffentlicht werden. Diskutieren Sie abschließend mögliche Ansätze zur Überwindung von ausgrenzenden und diskriminierenden Strukturen in unserer Gesellschaft. Einigen Sie sich auf grundlegende Verhaltensweisen, denen Sie sich in Ihrem eigenen (Schul-)Alltag verpflichtet fühlen.
Autor/in: Christian Horn, freier Filmjournalist in Berlin (Filmbesprechung), Dr. Elisabeth Bracker da Ponte, Lehrerin für Deutsch und Englisch sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg (Arbeitsblatt), 04.09.2019