Hintergrund
Machismo und Männerbünde - Filme über die Mafia
In dem italienischen Mafiafilm
Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra (Gomorra, Matteo Garrone, 2008) nehmen sich zwei 16-jährige Herumtreiber den schneidigen Mafia-Aufsteiger Tony Montana aus Brian De Palmas Klassiker
Scarface (USA 1983) zum Vorbild und fordern die Camorra heraus. Als
Gomorrha in einem italienischen Gefängnis vorgeführt wurde, identifizierten Häftlinge den Filmkiller, der die Teenager am Ende tötet, als echten Kriminellen: Der Laienschauspieler entpuppte sich als gesuchter Mafioso, der für seine Filmleidenschaft bekannt war. Mafiafilme, so zeigt diese Anekdote, scheinen wohl nicht zuletzt für die Mitglieder dieser Organisation selbst attraktiv zu sein. Das populärste Subgenre des Gangsterfilms entwirft ein filmisches Image der Mafia, das alles andere als abschreckend wirkt. Im Gegenteil: Ein Experte für Organisiertes Verbrechen bezeichnete Francis Ford Coppolas "Patentrilogie" gar als "der beste Werbespot für die Mafia, der je gedreht wurde". Was macht nicht nur die Filme über sie, sondern "die Mafia" selbst so anziehend?
Sittenbild der Gesellschaft
Realitätsnah und damit spannend sind die meist von authentischen Personen inspirierten Mafiaepen insofern, dass sie, vom Beginn des Genres in der Prohibitionszeit an (einer der ersten Mafiafilme war
Scarface in der Originalfassung von 1932 unter der Regie von Howard Hawks), ein Sittenbild der Gesellschaft und ihrer Institutionen zeichnen, deren Korruptionsgrad mafiose Umtriebe erst begünstigt. Zudem vermitteln die Filme, dass eine Mafiakarriere benachteiligten ethnischen Minderheiten den gesellschaftlichen Aufstieg erleichtert. Die Mafia, die sich – vom Alkoholschmuggel über Glücksspiel und Drogengeschäfte bis hin zum Menschenhandel – illegale Geschäftszweige erschließt,

American Gangster
wird im Kino zum Zerrspiegel legalen Wirtschaftens und freien Unternehmertums. So ist etwa die Hauptfigur in Ridley Scotts
American Gangster (2007), lässt man die Moral beiseite, ein vorbildlicher Unternehmer: ein umsichtiger Macher, der sein Geschäft ausdrücklich nach dem Vorbild der Italo-Mafiafamilien straff organisiert, "neue" Vertriebswege erschließt – in den Särgen gefallener Vietnam-Soldaten wird Heroin geschmuggelt – und auf ein untadeliges Privatleben achtet. Wie in Brian De Palmas
The Untouchables – Die Unbestechlichen (The Untouchables, USA 1987) werden die legalen Verfolger der Verbrecher hingegen häufig als Besessene skizziert, die sich zudem der Korruption in den eigenen Reihen erwehren müssen. Doch Ridley Scotts unaufgeregtes Epos mit seinem schwarzen Paten Denzel Washington ist, ebenso wie Mike Newells
Donnie Brasco (USA 1997), in dem Johnny Depp als verdeckter FBI-Ermittler in eine Mafiafamilie eingeschleust wird, ein Ausreißer in einem Genre, dessen Hauptvertreter ihre Faszination, ja Obsession, für charismatische Verbrecher in temperamentvollen Geschichten ausleben.
Männlichkeitsikonen und Familienbetrieb
Neben Sergio Leones
Es war einmal in Amerika (Once Upon a Time in America, USA 1984) malen Regisseure wie Martin Scorsese in
Hexenkessel (Mean Streets, USA 1973) oder
Casino (USA 1995), aber auch Francis Ford Coppola in seiner Trilogie
Der Pate (The Godfather, USA 1972, 1974, 1990) diesen kriminellen "Way of Life" in ebenso düsteren wie leuchtenden Farben aus. In opulenten Inszenierungen werden die blutigen Gewaltexzesse zwar durchaus abstoßend dargestellt - die negativen Aspekte der Verbrecherorganisationen werden jedoch in der Regel überstrahlt von smarten Bösewichten, die dank charismatischer Darsteller zu Ikonen eines bestimmten Männlichkeitsideals mit stilbildenden Posen und Drohgebären aufstiegen:

Der Pate
Marlon Brando, Robert De Niro oder Al Pacino verkörpern als "Paten" jene Mischung aus kaltblütiger Intelligenz, ausgeprägtem Machtbewusstsein und aggressiver Handlungsfreiheit auf eine Weise, die (nicht nur pubertäre) Omnipotenzsehnsüchte bedient. Zudem mischen sich im Mafiamythos auf faszinierende Weise Gut und Böse, Verbrechertum mit Familiensinn. Etymologisch geht man davon aus, dass der Name vom arabischen Wort "mahyas", "Prahlerei", abgeleitet ist und zunächst einen Geheimbund innerhalb der altertümlichen sizilianischen Feudalgesellschaft bezeichnete, eine Schutzorganisation in einer Epoche schwacher Staatsgewalt. Coppolas dreiteiliges "Pate"-Epos führt erschöpfend vor, wie es Don Corleone gelingt (das sizilianische Städtchen Corleone gilt heute noch als Mafia-Hochburg), innerhalb einer "modernen" amerikanischen Gesellschaft eine Gegenorganisation zu etablieren, die im guten wie im schlechtesten Sinne ein Familienbetrieb ist. Wer Mafia sagt, meint natürlich nicht einfach Familie, sondern ein archaisches Patriarchat oder dessen entlarvende Karikatur. Nicht nur
Der Pate demonstriert eine durchaus wieder erkennbare familiäre Binnenstruktur, in der ein Clan einem scheinbar allmächtigen Patriarchen, dem "Godfather", untergeordnet ist, für den das allgemeine Gesetz nicht gilt. Frauen, wenn sie nicht mütterlich-dienende Funktion haben, sind meist Trophäen oder bringen Unfrieden in die Männergeschäfte wie Diane Keaton als emanzipierte Ehefrau des "Paten" Al Pacino in
Der Pate - Teil II (Francis Ford Coppola, USA 1974). Selten wurde eine schöne Frau boshafter entzaubert als Sharon Stone in
Casino (Martin Scorsese, USA, Frankreich 1995). Und "Scarface" rastet aus, als seine Schwester sich in der Disco dieselben heißen Flirts wie er erlaubt (
Scarface, Brian De Palma, USA 1983).
Söhne und (Ersatz-) Väter
Innerhalb der Sippe gilt das Gesetz des Schweigens, der "Omertà", das in Mafiafilmen irgendwann unweigerlich gebrochen wird. Leitmotive wie "Ehre" und "Respekt" werden im Hin und Her aus Intrigen, Verrat und Vergeltung als Synonyme für Kontrolle und Machtgier entlarvt; letztlich erweist sich die Mafia in den meisten Filmen als paranoides, sich

Knallhart
selbst sabotierendes System. Die Spaltung in Gewaltverbrecher und konservativ-treusorgende Familienväter kann nicht funktionieren. Trotzdem werden gerade orientierungslose Jugendliche von einer vermeintlich Wärme spendenden Familienstruktur und einem starken "Vater" angelockt, beispielsweise im deutschen Drama
Knallhart (Detlev Buck, 2006), in dem sich ein Teenager von einem arabischen Clan rekrutieren lässt. Die Clanchefs "adoptieren" Söhne, die sie im Zweifelsfall opfern, so lautet beispielsweise auch in
Goodfellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia (Martin Scorsese, USA 1990) oder in Jim Jarmuschs melancholischem Killerdrama
Ghost Dog – Der Weg des Samurai (Ghost Dog: The Way of the Samurai, USA 1999) die Filmlektion. Die Söhne wiederum begegnen, wie Leonardo DiCaprio in
Departed - Unter Feinden (The Departed, Martin Scorsese, USA 2006), den (Ersatz-)Vätern mit einem Wechselspiel aus Unterwerfung und heimlicher Auflehnung.
Falsche Versprechen
Dennoch bieten omnipotente Aufsteiger wie Al Pacinos "Scarface" einem jugendlichen, männlichen Kinopublikum hinreichend Identifikationspotenzial, genießt doch ein ausgesprochener Macho wie Tony Montana umso mehr Respekt unter den Männern, je dreister er seine Show abzieht; die Traumfrau bekommt er obendrein. Seltener finden sich hingegen Filme, die das Elend der Mafiachargen deutlicher ausmalen als den Glanz, wie etwa Sam Mendes
Road to Perdition (USA 2002) oder David Cronenbergs Thriller
Tödliche Versprechen – Eastern Promises (Eastern Promises, Großbritannien, Kanada 2007), in denen die Vater-Sohn-Thematik problematisiert wird. Cronenberg entlarvt überdies in seiner Geschichte über einen russischen Menschenhändlerring die homoerotische Komponente

City of God
der brutalen Männerbünde, die sonst zumeist nur unbewusst wahrgenommen wird.
City of God (Cidade de Deus, Fernando Meirelles, Kátia Lund, Brasilien, Frankreich 2007) schließlich konzentriert sich auf die psychische Bedürftigkeit und Armseligkeit der mit Drogen dealenden Teenager aus einem brasilianischen Slum, die mit Waffen und Goldkettchen geködert werden, aber kaum über das 20. Lebensjahr hinauskommen. Dieser Film bezieht sich allerdings nicht auf die italienisch Verbrecherorganisation sondern generell auf die Organisierte Kriminalität, für die der Begriff "Mafia" längst ein Synonym geworden ist. Auch Fatih Akins Spielfilmdebüt
Kurz und Schmerzlos (Deutschland 1998) und der von ihm produzierte deutsche Film
Chiko von Özgür Yildirim (2008) erzählen von der Anziehung, die das Gangstermilieu mit seinen nicht zuletzt in HipHop-Videoclips zelebrierten Statussymbolen wie Drogen, Waffen, Autos oder Frauen auch hierzulande für junge Menschen besitzt. Letztlich scheitern die Protagonisten dieser Filme jedoch an der Realität des Organisierten Verbrechens. Platzhirsche des Genres wie Scorsese und De Palma zeigen zwar auch, dass die mafiose Narrenfreiheit teuer bezahlt ist, aber sie arbeiten sich mit anziehender Leidenschaft an der Versuchung zum Machismo ab. Wie Don Corleone machen sie ihrem (männlichen) Publikum "ein Angebot", das es "nur schwer ablehnen kann".
Autor/in: Birgit Roschy, Journalistin mit den Schwerpunkten Film und Kultur, 26.08.2008
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