Hintergrund
Ohne Papiere
Illegale Einwanderer/innen im Film
Festung Europa
Die wachsende Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen hat in den vergangenen Jahren Migrationsbewegungen ausgelöst, die mit der Landflucht in Europa zu Beginn der Industrialisierung vergleichbar sind. In Europa, das durch die kontinuierliche EU-Erweiterung einerseits näher an die Armutsgrenzen heranrückt, sich andererseits aber zunehmend abschottet, wiegen die Folgen dieser Entwicklung besonders schwer. Für viele Flüchtlinge stellt die "Festung Europa" die letzte Hoffnung auf ein besseres Leben dar. Während die Politik illegale Einwanderung weitgehend kriminalisiert, nimmt das Kino verstärkt die humanitäre Katastrophe dahinter in den Blick. Der Film
Wüstenblume (Desert Flower, Sherry Hormann, GB, D, Ö 2009), der auf der Biografie des Supermodels Waris

Wüstenblume
Dirie basiert, gewährt einen Einblick in die Lebensumstände einer illegalen Migrantin. Nach ihrer Flucht aus Somalia schlägt sich Waris in London zunächst als Hausmädchen, dann als schlecht bezahlte Putzfrau durch, lebt zeitweise auf der Straße und geht schließlich eine Scheinehe mit einem Briten ein.
Wüstenblume ist aber auch ein Aschenputtel-Märchen. Für die wenigsten Illegalen geht die Geschichte so glücklich aus wie für Waris Dirie.
Hintergründe einer Flucht
Michael Winterbottom konzentriert sich in
In This World (GB 2002) auf die unmenschlichen Strapazen einer Flucht durch zwei Kontinente: zu Fuß und in der Dunkelheit von Flüchtlingslastern und Frachtcontainern. Mit Handkamera gedreht, erzeugt die wackelige Dokumentar-Ästhetik des Films eine Nähe zu den beiden Hauptdarstellern, wie man sie im Kino selten erlebt.
In This World ist nicht mehr als eine Abfolge von einzelnen Weg-Etappen. Doch Winterbottom erzählt damit die Hintergründe einer Geschichte, deren dramatischen Ausgang man sonst nur aus den Nachrichten erfährt: wenn in der englischen Hafenstadt Dover wieder ein Container mit toten Flüchtlingen gefunden wird.
Im Grenzland
Filme, die diese Einwanderungsproblematik thematisieren, müssen eine Balance finden zwischen einer globalen Kritik an den Verhältnissen, die eine solche Flucht erst bedingen, zugleich aber auch die Hilflosigkeit der Illegalen ausnutzen, und dem Schicksal dieser Menschen. Im US-amerikanischen Kino hat das Flüchtlingsthema Tradition: Das Grenzland zwischen den USA und Mexiko gehört zu den am härtesten umkämpften Gegenden der Welt. Nirgendwo ist das Missverhältnis vom vermeintlichen Segen der Globalisierung und lokalen Ökonomien so eklatant wie entlang der mexikanischen Grenze, wo multinationale Konzerne ganze Städte aus sogenannten sweatshops, Produktionsstätten mit billiger mexikanischer Lohnarbeit, errichten ließen. Filme wie Three Burials – Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada (The Three Burials of Melquiades Estrada, USA, F 2005) von Tommy Lee Jones oder John Sayles' Lone Star (USA 1996) erzählen am Rande von diesen Umwälzungen, die die Region sozial und demografisch umgekrempelt haben: Rechtsfrei und archaisch ist der Raum – als hätte der Wilde Westen nie aufgehört zu existieren.
Billige Arbeiter/innen
Richard Linklater zeigt in
Fast Food Nation (USA, GB 2006) am Beispiel der Lebensmittelindustrie die Abhängigkeit der US-Wirtschaft von illegalen Arbeitern/innen. Sie sind nicht nur billig, sondern auch ohne Rechte. Einer der vielen Erzählstränge im Film folgt einer jungen Mexikanerin: beim Grenzübertritt mit Hilfe von Schleusern, die aus dem Schicksal der Flüchtenden horrende Profite schlagen, später auf der Suche nach Arbeit in einer der vielen Billiglohn-Fabriken, bis in ihr winziges Motelzimmer, das sie sich mit einem Dutzend Anderer teilt. Ohne Kontakt zur Außenwelt und der Landessprache kaum mächtig ist ihr amerikanischer Traum bereits ausgeträumt.
Der amerikanische Traum
Träume von Geld, Freiheit oder Ruhm haben die Einwanderer/innen, die in Wayne Kramers Episodenfilm Crossing Over (USA 2009) auf ihre Arbeitserlaubnis oder US-Einbürgerung warten. Im Mittelpunkt dieser Hollywood-Produktion steht Max Brogan, Beamter der Einwanderungsbehörde, der in Los Angeles illegale Immigranten/innen aufspürt und sie zurück über die Grenze schickt. Aber es geht im Film nicht nur um Wirtschaftsflüchtlinge aus Mexiko. Da ist etwa der britische Musiker, der in Amerika groß raus kommen will, oder die junge Schauspielerin aus Australien, die sich eine Karriere in Hollywood erhofft. Sie alle sind bereit, dafür einen hohen Preis zu bezahlen. Der Film hebt individuelle Schicksale hervor, analyisiert aber kaum Ursachen und endet als Lobeshymne auf das Einwanderungsland USA.
Jede/r gegen jede/n
In den Filmen europäischer Autorenfilmer/innen geht es weniger um Arbeit, sondern mehr um den Status des Einwandernden. Und der hat immer auch einen Warenwert. In
Lornas Schweigen (Le Silence de Lorna, B, F, D 2008) von Jean und Luc Dardenne hört man das Rascheln von Geld, noch bevor man die Titelheldin sieht. Lorna heiratet einen Junkie, um einen belgischen Pass zu bekommen. Später soll sie dann für die Scheinehe mit einem reichen Russen zur Verfügung stehen. Mit dem Geld für die Transaktion will sich die junge Albanerin ihren Lebenstraum erfüllen: einen kleinen Imbiss – ein schönes Beispiel für die bescheidenen Sehnsüchte, für die Flüchtlinge heute ihre Leben riskieren. Mit dem reißerischen Bild des Sozialschmarotzers haben solche Kino-Figuren wenig gemein. Selbst wenn es sich um eine skrupellose Nutznießerin wie die

It's a Free World
alleinerziehende Mutter aus Ken Loachs
It's a Free World (GB, I, D, Sp 2007) handelt: Die arbeitslos gewordene Angie macht sich mit einer Agentur selbstständig, die illegale Arbeiter/innen vermittelt. Sie ist Opfer und Täterin zugleich. In ihrer ambivalenten Figur zeigt sich die Verzweiflung im Überlebenskampf unterhalb des Existenzminimums, die die Modernisierungsverlierer/innen sogar dazu treibt, sich gegenseitig auszubeuten.
Unbezahlbar: Menschlichkeit
In Stephen Frears
Kleine schmutzige Tricks ( Dirty Pretty Things, GB 2002) bilden dagegen die Illegalen mit den gesellschaftlichen Verlierern/innen eine Solidargemeinschaft. Der politische Flüchtling Okwe kommt einer Organisation auf die Spur, die illegalen Migranten/innen für eine gespendete Niere eine Aufenthaltsgenehmigung verschafft. Frears' Film ist eine seltene Ausnahme, weil die Illegalen keine passiven Opfer sind. Er überzeugt als Milieustudie einer Parallelgesellschaft, die fast ohne monetäre Transaktionen auskommt und sich damit den Zwängen des Warensystems entzieht. Bei Frears wird mit Gefallen bezahlt, Menschlichkeit ist das höchste Gut. In dieser Idee steckt eine schöne Utopie mit einem wahren Kern. Denn indem Frears die Illegalen, die Staatenlosen also, mit den gesellschaftlichen Außenseitern/innen, den Rechtlosen, gleichsetzt, zeigt er im Grunde, dass Nationalität heute ein gesellschaftliches Ausschlusskriterium darstellt.
Autor/in: Andreas Busche ist Filmpublizist und Filmrestaurator, 28.08.2009
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